Schon früh untersuchte Frankenthaler, wie Malerei funktioniert, indem sie die Werke der alten Meister dekonstruierte und ihre eigenen abstrakten Interpretationen schuf.[1] „Ich habe gelernt, moderne Bilder durch die Alten Meister zu betrachten – und umgekehrt.“, resümierte sie 1989.[2]
Ihre eigene Sammlung enthielt einen Druck aus Utagawa Hiroshiges Farbholzschnittserie 100 berühmte Ansichten von Edo (1856–8), die in der Tradition des Ukiyo-e entstand. In ihrem Gemälde For Hiroshige von 1981 bezieht sie sich auf das 86. Blatt der Serie mit dem Titel Naitō Shinjuku in Yotsuya. Dieser Verweis ist in ihrer Malerei jedoch kaum wiederzuerkennen, da das entlehnte Motiv zur Abstraktion geworden ist. In diesem Fall sind es die Formen der Pferdehufe im unteren Teil des Holzschnitts, die sie ins Zentrum ihres querformatigen Gemäldes setzt. Statt der ruhigen Flächen mit Farbverläufen, wie sie in ihren früheren Arbeiten oft vorkommen, ist die Oberfläche dieses Werks stark belebt. Verwischte, pastose Partien vermitteln die Bewegung, die Frankenthaler in den Schaffensprozess eingebracht hat. Der malerische Reichtum in den unterschiedlichen „Aggregatzuständen“ der Farbe macht die Raffinesse ihrer Werke dieser Zeit aus.
Helen Frankenthaler (1928–2011)
For Hiroshige, 1981
Aktuell ausgestellt: Ja (Helen Frankenthaler: Move and Make)
Material: Acryl auf Leinwand
Größe: 158,7 x 234 cm
Inv-Nr.: A_35
Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn; Copyright: Helen Frankenthaler Foundation, New York
Schlagworte:
Vorbesitz: Privatsammlung Belgien, 1982; Vorbesitz: Privatsammlung, New York
Ankauf: Sammlung Reinhard Ernst, Verkauf: Knoedler Gallery, London, 2011
[1] „Bei meiner Liebe für alle Alten Meister und während der Beschäftigung mit ihnen oder den Kubisten oder Manet, Monet, Miró, Gorky oder Pollock fragte ich mich immer, wie sie ihre Gemälde gemacht hatten; ich wollte sie verstehen und etwas von ihnen übernehmen. Manchmal verwendete ich ihre Werke und schuf meine Art abstrakter Antwort darauf.“ Aus: „Ein Gespräch, Helen Frankenthaler und Julia Brown“, in: After Mountains and Sea: Frankenthaler 1956–1959, Ausst.-Kat. Guggenheim New York/Bilbao/Berlin, Ostfildern-Ruit 1998, S. 29–49, hier S. 33.
[2] Helen Frankenthaler, 1989, in: Deborah Solomon: „Helen Frankenthaler: Artful Survivor“, in: New York Times Magazine, 14.5.1989, S. 63.